June 22 SZ online

"Photographers' Network"
Visionen voller Kraft und Poesie


Siegen. Im Atelier Thomas Kellner steht die neunte Auflage von "Photographers' Network" an. Fotografen aus 13 Ländern widmen sich dem Thema "Visions".

gmz - In der Ecke des in schmutzigem Weiß gestrichenen Raumes, eigentlich mehr eines im rechten Winkel abknickenden Durchgangs, steht auf dem viel benutzten Betonboden ein runder Glasbehälter, gefüllt mit grünlich-veralgendem Wasser. In der trüben Brühe schwimmen zwei Goldfische, sie sind kaum noch zu erahnen. Schwimmen sie noch oder treiben sie schon? Über der Goldfischkugel liegt eine schlampig angebrachte Stromleitung auf der gestrichenen Ziegelwand. Rechts, am Bildrand, führt eine Stufe offenbar durch eine Tür in einen weiteren Raum, der aber nicht einsehbar ist. Die Situation ist so alltäglich, dass sie banal ist, aber dennoch sehr bedrückend. Wo bin ich hier? Warum wird eine solche "unfertige" Situation von der Fotografin Sabine Schulz-Blank überhaupt gezeigt. Hat sie eine Bedeutung? Welche? Beim Betrachter bleibt der Eindruck der deprimierenden Trostlosigkeit. Da helfen auch alle "Türen" nichts!

Zu sehen ist diese Arbeit, zusammen mit 17 anderen, in der neunten Auflage von Thomas Kellners "Photographers' Network" im Atelier in der Friedrichstraße (Eröffnung Freitag, 22. Juni, 19 Uhr). In diesem Jahr steht sie unter dem Leitmotiv der "Visions", da alle Arbeiten, so Thomas Kellner bei der Pressevorstellung, von der visionären Kraft der Fotografie gekennzeichnet sind. Thomas Kellner hat, wie in jedem Jahr seit 2004, Foto-Kollegen aus aller Welt (aktuell aus 13 Ländern, darunter auch der heimische Künstler Marc Baruth) eingeladen, Arbeiten einzureichen, die dann von einer kompetent und international besetzten Jury ausgesucht werden.
Treffen mit Kollegen

Der Netzwerkgedanke dieses Konzepts scheint sich etabliert zu haben. Nicht allein der kleine Katalog, der jährlich erscheint, reizt die Fotografen mitzumachen, sondern auch das Treffen mit Kollegen, das am Samstag nach der Eröffnung im Museum für Gegenwartskunst stattfindet (10 bis 12 Uhr) und zu dem nicht nur einige aktuell Ausstellende erscheinen, sondern auch Teilnehmer früherer Jahre, und bei dem über die Arbeiten gesprochen wird.

Die visionäre und suggestive Kraft der Fotografie kennzeichnet die diesjährigen Arbeiten. Da ist zum Beispiel die Aufnahme von Pascal Baetens, der eine Arbeit aus seiner "Engel"-Serie zeigt. Beim ersten Hinschauen fühlt man sich allerdings vor allem an Botticellis "Geburt der Venus" erinnert, denn die schöne, junge Frau imitiert ziemlich genau (bis auf die Beinhaltung) die Pose der "Schaumgeborenen".
Diese Fotos fesseln

In Baetens' Arbeit allerdings ist sie schneegeboren, in einer kahlen Winterlandschaft. Hinter ihr erhebt sich eine Brücke, die wohl ursprünglich in einem Park über ein Wasser geführt hat. Diese wie die Landschaft und die Bäume schneebedeckte, steile Brücke mutiert beim zweiten Hinschauen zu Flügeln, die Venus aus ihrer Winterstarre befreien ... Poetisch! Rührend und berührend ist Ursula Tarasiewicz' Vision des Jungen, der in "großer Montur", mit Lederhelm, viel zu großen Hosenträgern, in die er lässig die Daumen einhakt, den "Coolen" gibt, für den keine Herausforderung zu groß scheint. Nur seine Augen erschüttern die toughe Pose! Toll auch Qui Jun Sungs Aufnahme von "Mutter und Kind", die zwar nicht flüchten, wie auf dem berühmten Vietnamkrieg-Foto, das Pate gestanden hat, deren Welt aber auch perspektivlos wirkt. Aber sie haben sich!? Verstörend ist Undayar Sankar Pols "Wache", ein schemenhafter Schatten vor einer hellen Glastür. Ist er der gute oder der böse, bewacht oder erobert er den dunklen Raum, in dem der Betrachter sich befindet? - Visionen können manchmal auch erschrecken, aufrütteln, die Grundfesten in Frage stellen!