June 20 2012: WAZ online: Der Westen

Thomas Kellner aus Siegen zeigt Visionen seiner Kollegen aus 13 Ländern

19.06.2012 | 15:46 Uhr

Thomas Kellner aus Siegen zeigt Visionen seiner Kollegen aus 13 Ländern




Siegen.   Der schmächtige Junge mit der Ledermütze und den viel zu weiten Hosenträgern und die grazile Nackte im Schnee haben mehr gemeinsam, als sich auf den ersten Blick offenbaren mag. „Visions“ war der Begriff, der dem Siegener Fotokünstler Thomas Kellner in den Sinn kam, als er diese und die 16 übrigen Bilder für die neunte Ausstellung im Zuge seines Projekts „photographers:network“ betrachtete.

„Visions“, also „Visionen“, ist der Titel der Ausstellung in Kellners Atelier an der Friedrichstraße 42. Es sei „eine visionäre Kraft“, die die 18 ausgewählten Bilder von Fotografinnen und Fotografen aus 13 Ländern verbindet, sagt der Initiator. Sie liege in der Komposition, im Eingriff in den Bildbestand, in der Vorstellungskraft, Dinge zu verbinden.
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Der Überprüfung dieser Grundannahme hält die Ausstellung in der Tat stand; faszinierend, wenn man das zufällige Zustandekommen der Zusammenstellung bedenkt. Kellner hatte Anfang 2012 rund 500 Kolleginnen und Kollegen zur Teilnahme eingeladen. Aus etwa 100 Einreichungen wählte eine Jury, der außer Kellner zwei Journalisten deutschsprachiger Foto-Fachmagazine, zwei Kuratorinnen und eine Galeristin aus den USA angehörten, 18 Arbeiten aus.
Suche nach dem roten Faden

„Ich schaue mir die Bilder an, schaue, ob ein roter Faden zu finden ist“, sagt Kellner über den Prozess der Namensfindung. „Und dann steht plötzlich ein Wort im Raum.“ Natürlich beeinflusst ein Begriff wie „Visionen“ die Wahrnehmung von Werken, wenn er als Titel über eine Präsentation steht. Wer sich dadurch einschränkend beeinflusst fühlt, der mag sich bei der Betrachtung von diesem Wort freimachen; wer sich vom Titel leiten lassen mag, kann sich in Kellners Atelier allerdings auf interessante Erkundungstour begeben. Mit welcher Vision hat der Betrachter es in den einzelnen Bildern zu tun?

Beim Jungen mit dem schmutzigen, nackten Oberkörper und der Ledermütze ist es offensichtlich. Der Kleine schlüpft in die Rolle eines Feuerwehrmanns. Die Aufnahme von Urszula Tarasiewicz ist Teil der Fotoserie „Neue Großstadtlegenden“. Die Künstlerin ließ Kinder im armen Warschauer Stadtteil Praga als Erwachsene posieren, wobei das Kindliche doch im Vordergrund bleibt. Tarasiewicz erhielt für ihren Beitrag den mit 450 Euro dotierten Preis der Jury und eine eigene Ausstellung in der Siegener Art Galerie.
Bild des Inders Udayan Sankar Pal wie aus einem Albtraum

Das Bild des Inders Udayan Sankar Pal wirkt allein aufgrund seiner Gestaltung wie eine Vision, wie ein Eindruck aus einem Albtraum: Aus einem dunklen Raum heraus fällt der Blick auf die Silhouette eines uniformierten Mannes hinter einer Glastür. Die Britin Tamany Baker lässt sich für ihre Serie „Living with Wolfie“ von ihrer Katze Inspiration liefern. Was der Vierbeiner ihr täglich an Geschenken mitbringt, arrangiert Baker für ihre Fotos. In diesem Fall ist es ein toter Vogel in einem liebevoll drapierten Kreis aus pinken und blauen Blüten.

Die Vision des Belgiers Pascal Baetens ist die eines Engels: Eine nackte, blonde Frau steht in der Pose von Botticellis Venus im Schnee vor einer Brücke. Ihre Flügel sind aber nicht gefiedert: Es sind die Bögen und verschneiten Treppenstufen der Brück hinter ihr.

Florian Adam