Halm Schudel, Anna

Anna Halm Schudel, Zürich, Schweiß

Ausbildung zur Fotografin an der Kunstgewerbeschule Vevey, Schweiz, und dem College of Art und Design, Birmingham, England. Anschliessend 5 Jahre Assistentin beim Zürcher Fotografen René Groebli. Seit 1973 selbständige Künstlerin und Fotografin in Zürich.

Annas Flowers

Meine Träume sind Alpträume. Seit mehr als 40 Jahren kehrt derselbe Traum in tausenden von Variationen wieder. Ich träume von leidenden Blumen, sie brauchen dringend Wasser und Licht, sonst werden sie sterben. Diese Blumen erscheinen in Vasen und Töpfen, in Blumenläden, in Gärten, auf Feldern, in Wäldern, auf Büschen und Bäumen, als Sträuße, in Körben, als Dekoration, in Wintergärten und Wohnzimmern. Sie leiden im Dunkeln und sind fast tot, weil ihnen das Wasser fehlt. Ich sollte ihr Leben retten, aber jedes Mal hindert mich ein Hindernis daran, ihnen das notwendige Wasser und Licht zu geben.  So werde ich im Alltag von blühenden Blumen magnetisch angezogen. Ich muss sie ins rechte Licht rücken und sie fotografisch verewigen. Anna Halm Schudel, März 2010

Why flowers

Warum denn ausgerechnet Blumen, werde ich gefragt, nachdem sich jemand nach meinem fotografischen Thema erkundigt hat. Im Gegensatz zu manchen Fragestellern kann ich nicht sagen, dass meine Jugend glücklich war, sie war ausgesprochen traurig, ich betete jeden Abend „lieber Gott, lass mich sterben“. Auch als junge erwachsene Frau dachte ich ununterbrochen an Selbstmord, das Leben in mir selbst drin war unerträglich. Da begannen auch diese Träume, die seither immer wiederkommen, seit mehr als 40 Jahren. Ich träume von Blumen, meist sind sie vertrocknet, schlampig, dürr, nur ein kümmerlicher Rest Leben ist ihnen geblieben. Ein Garten ist zur Wüste verkommen, winzige Spuren von Grün lassen Leben erraten, die Zimmerpflanzen in ausgetrockneten Töpfen strecken mir ihre kahlen Äste entgegen, ein einziges grünes Blättchen signalisiert Leben. Ich kaufe Blumen, vergesse jedoch, sie ins Wasser zu stellen, Blumen werden mir geschenkt, wieder hindert mich etwas, sie einzustellen. Blühende Hecken verdorren, Blumenwiesen sind zu Schutthalden geworden. Und immer erwache ich,bevor ich diesen leidenden Pflanzen Wasser geben konnte. So sind Blumen zu meinem Thema geworden, zuerst haben mich Abbildungen von blühenden Blumen magisch angezogen. Dann begann ich selbst Bilder von blühenden Blumen aufzunehmen. Und wenn mich ein Bild gelungen dünkte, war ich glücklich. Ich strebte nach diesem Glückszustand, wollte ihm Dauer verleihen und so gegen die innere Trauer ankämpfen und begann meine erste große Blumenserie „365 Blumen“ zu fotografieren, für die ich ein Jahr lang jeden Tag eine Blume mit dem legendären Polaroid SX70 Film abbildete. Das Bild sah ich sofort, was mir sehr entgegenkam. Dann suchte ich nach einer neuen Form meiner Blumendarstellung und fand nach etlichen missglückten Versuchen in der Digitalkamera meine Lösung, wieder sah ich das Bild sofort. Nun wurde es mir zum Anliegen, die Erotik, das ungestüme, schamlose Leben der Blumen zu zeigen. Als gewissenhafte Frau arbeitete ich vier Jahre lang an diesem Thema, und immer noch scheint es mir nicht erschöpft. Wenn immer ich im Radio von all diesen weltweiten Katastrophen höre, möchte ich mitteilen, es gibt auch Schönes, Erfreuliches, Positives, möchte die andere Seite der Waagschale füllen.

Diese erotischen Blumen stehen in meinem Atelier herum (alle tief im Wasser) und welken langsam vor sich hin. Beim täglichen Betrachten begann ich die Grazie der welken Blumen zu entdecken, was zu der Serie mit den verdorrten Tulpen führte. Ich kreise um die Blumen, schaue sie an, suche den Blickwinkel und die Perspektive, mache mir Gedanken zum Licht, dann fotografiere ich sie, manchmal braucht ein einziges Bild mehrere Stunden. Ich verändere die Blumen nicht, ich will der Welt und mir beweisen, dass das Leben schöner ist als es scheint.

Die Unendliche Reise

„Anna Halm Schudels Werkfolge "Die unendliche Reise" unterscheidet sich markant von herkömmlicher Reisefotografie: Nicht zu exotischen Sehenswürdigkeiten oder an spektakuläre Wallfahrtsstätten zieht es die Fotografin, weder Sightseeing noch der Anspruch auf umfassende Dokumentation eines unbekannten Landstrichs setzen das Projekt unter Druck. Die Routen der Künstlerin durch Frankreich, Deutschland und die Schweiz werden bestimmt von der Geografie ihres Alltags. Den "genius loci" lässt sie erst durch ihre Arbeit entstehen, indem sie unscheinbaren Flecken am Rande der Autobahn unverhoffte Ewigkeit stiftet. Unterwegs von ihrem Wohnort Horgen am Zürichsee zu einer Galerie in einem andern Land oder einer Feriendestination, hält Anna Halm Schudel auf dem Beifahrersitz des Autos die Kamera in Bereitschaft, meistens in schwarzen Kleidern, um die Spiegelung im geschlossenen Autofenster zu vermeiden. "Mich interessiert, wie sich Beschränkung positiv auf mein Werk auswirken kann", sagt die Künstlerin, "bei meiner Arbeit bin ich sowohl durchs Autofenster wie auch durch das Tempo des fahrenden Autos beschräkt - Motiv, Licht, Bildausschnitt und Moment werden von außen bestimmt".

Was sehen wir? Dunkle Baumsilhouetten in einem wattigen Meer aus Gras; Wege, die den Vordergrund mit dem Horizont verbinden oder sich hinter einer vagen Farbfläche verlieren; schiefe Zäune und ihr Schattendoppel; Alleen in der Ferne oder uns umhüllend; die letzte Sonne auf der Gotthard-Passstrasse, bevor der große Schnee kommt; zerzauste Bäume an der Küste von Hyres; die banalen Requisiten des Straßenverkehrs - Pfosten, Schilder, Markierungen und immer wieder die Leitplanke, die dem Betrachter zu einer Leitplanke seiner Wahrnehmung wird; Teile des Rahmens, den das Auto bildet, etwa den Seitenspiegel; das Spiel der verschiedenen Grüntöne und die Farben des Schnees; saftige Wiesen, die zittern, als wären sie eine Fata Morgana in der Sahara; den Regen auf den glänzenden Strassen riechen wir, den Nebel zwischen den Obstbäumen glauben wir mit Händen greifen zu können; die Geometrie von Natur und Architektur, auf halbem Weg zwischen impressionistischer und abstrakter Malerei. An die romantisch-erhabenen Gemälde von Caspar David Friedrich erinnern vielleicht die grandiose Meereswelle in drei Etappen oder die Stimmungsbilder vom Genfersee. Sonst aber ist der Himmel viel weniger hoch, der Blick der Kamera setzt schon am Straßenrand an und taucht tief in die Landschaft ein.“

Aus einem Text von Michael Pfister, Philosoph und Publizist, Küsnacht, CH.

Selfportraits

Sammlungen

Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg
Polaroid Collection
Fotostiftung Schweiz, Winterthur
Stadt Biel
Fonds Cantonal d‘Arts Visuels, Genf
Stadt Nyon, Wadt
Interartes Zürich
Sammlung Thomas Kellner, Siegen

Bücher

Anna Halm Schudel
The never-ending journey
2003 Verlag Scheidegger & Spiess AG, Zürich
ISBN  3-85881-150-5

Anna Halm Schudel
The never-ending journey II
Galerie von Braunbehrens München 2005
ISBN 3-922268-39-0

Faszination Blüte
365 Fotos von Anna Halm Schudel
DVA Verlag München 2006
ISBN 10:3-421-03562-8