Klompching Gallery 7/8: Odette England

Odette England: Grenzgebiete

Heimat ist, wie der Schriftsteller James Baldwin feststellte, ein Phantasma, das nur in seiner eigenen Abwesenheit existieren kann. Wenn man versucht, nach Hause zu gehen, stellt man vielleicht fest, dass es einfach kein Zuhause mehr gibt. Solange man aber wegbleibt, kann man seine Vorstellung von Heimat endlos aufschieben und sagen: "Eines Tages werde ich nach Hause gehen". Visionen von Heimat sind auch das Hauptthema der Kunst von Odette England: Ihre Fotografien zeigen oft recht vertraute, aber gebrochene Motive von beschaulicher Ländlichkeit; eine lang verlorene Jugend; zerbrochene Visionen von Zugehörigkeit, aber ohne einen klaren Ort, zu dem man tatsächlich gehört. Die Oberflächen ihrer Arbeiten sind von physischer Zerstörung gezeichnet; tiefe Risse öffnen sich in die Schwärze und spalten die Szenerie in Stücke. An anderer Stelle klaffen große Löcher in den Bildern, aggressive Kratzer oder Porträts, die sich in kleine Fragmente auflösen. Wie viele andere Künstler ihrer Generation spielt England gerne mit der Ästhetik des Familienalbums - und das ziemlich gewaltsam. Diese Ästhetik ist unserer Zeit etwas abhanden gekommen; diese Idee eine physische Galerie der Erinnerungen zu errichten, wurde durch die Virtualität der digitalen Fotografie ersetzt. Englands Kunst ist jedoch von Natur aus körperlich. Sie verwendet analoge Technologie, um ihre Bilder zu erschaffen und rohe Gewalt, um sie anschließend zu zerstören.

Abwesenheit

Die visuelle Betriebsamkeit der modernen Zeit lässt oft nur wenig Raum für Erstaunen. Während Fotografien so gut wie überall zu jeder Zeit zu finden sind, muss man sich fragen, welchen Nutzen all diese Bilder überhaupt haben. Manche mögen antworten, dass sie Informationen vermitteln, dass sie repräsentieren. Aus dieser Perspektive erscheinen die Fotografien von Odette England eher mangelhaft. Andere könnten versuchen die Antwort auf die Nützlichkeit dieser Bilder in ihrer künstlerischen Nutzlosigkeit zu finden. Doch diese Position verschiebt die Antwort nur. Sie verwechselt eine Frage der Anthropologie mit einer Frage der Kunsttheorie. Ich frage noch einmal: Warum nehmen wir all diese Bilder auf, sammeln sie, bewahren sie in unserer Nähe auf? Was rufen sie in den Momenten hervor, in denen wir sie aus der Tasche nehmen oder ein altes Familienalbum aufschlagen? Sie helfen uns sicherlich, uns an die abgebildeten Dinge zu erinnern, wenn sie abwesend sind. Wenn alles immer präsent wäre, hätten wir wenig Verwendung für Bilder. Aber wir haben die verschwindenden Gesichter der Toten mit ewigen Masken aus Gold bedeckt, wir schätzen die Porträts derer, die wir am meisten lieben, wenn sie am weitesten weg sind, und Tyrannen und Kaiser haben ihre Denkmäler gebaut, um die ewige Präsenz ihrer königlichen Körper zu gewährleisten. Die Praxis der Darstellung an sich scheint kaum mehr als eine Simulation der Gegenwärtigkeit zu sein, eine schimmernde Totenmaske, die verbergen soll, dass etwas fehlt.

Odette England: III

Erinnerungen

Dies gilt insbesondere für die analoge Fotografie, ein Medium, das eine ganz besondere Beziehung zur Realität hat. Lichtstrahlen, die von Körpern und Gegenständen reflektiert werden, brennen die Formen und Gestalten, die wir auf einer Fotografie sehen in den Film ein. Man kann von einer beinahe magischen und gewaltsamen Verbindung zwischen dem Abgebildeten und der Abbildung sprechen. Die Körperlichkeit der Welt wird durch die Körperlichkeit der Fotografie verdoppelt, die schließlich als ihr Ersatz dient, denn der abgebildete Moment ist vergangen und wird nie wiederkehren. Und so sammeln wir verlorene Momente, streicheln sie liebevoll mit Blicken und Berührungen in stummer Melancholie. Baldwin hatte allerdings recht: Die Idee einer Sache kann nicht mit der Sache selbst identisch sein. Wäre es nicht naiv anzunehmen, dass ein Foto jemals mit dem Moment identisch sein könnte, den es so verzweifelt festzuhalten versucht? Was wir suchen, befindet sich nicht in der Fotografie, sondern außerhalb von ihr. Die atemberaubende, individuelle Komplexität des Lebens wird wiederum endlos aufgeschoben, während mit uns etwas ganz anderes zurückbleibt. Eine Erinnerung muss selbst ein Zeichen der bodenlosen Abwesenheit sein.

Jenseits des Bildes

Nicht alle Serien Englands sind von unmittelbarer Zerstörung betroffen, aber alle haben einen Mangel; sie weigern sich einfach betrachtet zu werden. Seltsame Blickwinkel unterbrechen den Wunsch des Betrachters nach einer kontinuierlichen Erzählung, Gestrüpp verstellt den Blick des Betrachters und konfrontiert ihn mit seiner eigenen Blindheit. Ihre Kunst verdeckt nicht den Mangel oder den Defekt, sie ist sein treuester Begleiter. Die fotografische Szenerie blutet in die schreienden Kratzer, die über die Oberfläche kriechen und durchbricht sie schließlich, während unser Blick versucht sich durch die gewundenen Korridore dieses Verlustes zu navigieren. Ein Defekt kann gewiss eine sehr produktive Sache sein. Englands Zerstörung trägt etwas zur visuellen Struktur ihrer Arbeiten bei, denn auch sie ist eine Erinnerung an intensiven Körperkontakt; an einen Körper, der seine Spuren und Zeichen hinterlassen hat. England verbirgt nichts, sondern schafft eine heitere Leere im Herzen des Bildes, in der man gerade genug Platz findet, um sich vorzustellen, was verloren ging. Es ist eine Leere, in der man einen Platz für behütete Geheimnisse und vielleicht sogar für so etwas wie eine Heimat finden kann.

Kontakt

Klompching Gallery
Darren Ching and Debra Klomp Ching
89 Water Street
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www.klompching.com

Autor

Kende Bors, geboren 1994 in Marosvásárhely

Hat einen B.A. in Kunstgeschichte und Germanistik, studiert Literaturvermittlung

Praktikum: Sommer 2022

Besondere Interessen: Kunst und Literatur der Décadence, Kulturtheorie