Klompching Gallery 5/8: Ken Rosenthal

Ken Rosenthal: Niemandsland der Erinnerungen

Ken Rosenthals künstlerische Arbeiten sind ein Spaziergang durch eine Galerie verblasster Erinnerungen. Man blickt auf verschwommene Reminiszenzen an vergangene Momente, die nie stattgefunden haben; oder vielleicht auf Visionen einer verschwommenen Zukunft, die nie sein wird. Die Bilder scheinen in einen weich fließenden, durchscheinenden Schleier gehüllt zu sein, der alle Kanten aufweicht und lebhafte Phantome und kriechende Schatten erzeugt, die Rosenthals Kunst das romantisches Leben verleihen, das jenen Gemütern wohl bekannt ist, die von Träumereien geplagt werden. Das Thema seiner Kunst ist indessen unglaublich gewöhnlich: Wir sehen Bilder von Kindern und Haustieren, Strandszenen, und vor allem in seinen früheren Werken finden sich Darstellungen von Pflanzen und Wildnis. Diese Themen sind so allgemein, dass sich fast jeder in der westlichen Welt leicht mit ihnen identifizieren kann, bis zu einem Punkt, an dem diese Identifikation ironischerweise zu einem Paradoxon wird. Rosenthal selbst erklärt dies folgendermaßen:

"Vor Jahren, als ich durch Alben mit Familienfotos blätterte, fiel mir auf, dass viele der Bilder, die starke Erinnerungen weckten, vor meiner Geburt entstanden waren oder zu Zeiten oder an Orten, an denen ich nicht anwesend war. Diese Erinnerungen waren lebendig, aber in Wirklichkeit waren es falsche Erinnerungen. Fasziniert davon, wie viele unserer Erinnerungen einem Foto, einem Traum oder einer Geschichte zugeschrieben werden können, anstatt einer tatsächlichen Erfahrung, begann ich, Bilder aus Archiven von Familienfotos und persönlichen Arbeiten herauszusuchen."

Eine Traumzone

Rosenthals Kunst oszilliert also in einem undefinierten, traumartigen Raum zwischen dem Persönlichen und dem Alltäglichen. Man könnte dies sogar als etwas beunruhigend empfinden. Jeder kennt diese Bilder, ihre Matrix ist uns durch unsere Sozialisation eingeprägt - und doch sind sie völlig fremd, wie ein Traum, an den man sich nach dem Aufwachen zu erinnern versucht. Je mehr man versucht, seinen Blick auf das Traumerlebnis zu fokussieren, desto undurchsichtiger und grotesker wird es, bis alle klaren Ränder verschwunden sind. Dieser Ästhetik liegt eine sehr freudianische Vorstellung vom Traum als etwas zugrunde, das niemals seinen eigenen wahren Inhalt vermitteln kann, weil dieser Inhalt letztlich inkommensurabel ist, auch wenn er sich an den Betrachter selbst richtet. Wir werden vielleicht nie verstehen, was Rosenthals Fotografie so anziehend, so persönlich für uns macht, denn es gibt keine Worte, um sie zu beschreiben, keine Bilder, die unsere persönliche Freude, unseren Schmerz und unsere Trauer einfangen, die wir in diese anonymen Bilder werfen. Alles, was sie tun können, ist uns an dieses unbegreifliche Ding zu erinnern, das wir Menschlichkeit nennen - ein lebhaftes Phantom, ein kriechender Schatten, verwischt durch Angst und Sehnsucht.

Ken Rosenthal: No Title

Eine malerische Ästhetik

Während Rosenthals frühe Arbeiten noch von der charakteristischen Schärfe der Fotografie geprägt sind, beginnt er in seiner Serie Seen and not Seen seine Kunst mit jener wunderbaren Mystik zu versehen, die uns alltägliche Dinge fremd erscheinen lässt und ihnen die Eigenschaften einer halb erinnerten Reminiszenz verleiht. Diese Unschärfe, die für sein künstlerisches Schaffen spezifisch geworden ist, erweckt nicht nur den Eindruck einer Erinnerung, sie ist selbst so etwas wie ein kollektives Erbstück. Sie ist ein Rückgriff auf die Anfänge der Fotografie, bevor der technische Fortschritt die Möglichkeit einer radikalen Schärfe garantierte. 
Aus heutiger Sicht mag das etwas absurd erscheinen, aber selbst diese alten Fotografien wurden bereits für ihre Schärfe und ihre Fähigkeit gelobt, Details zu zeigen, die die menschliche Wahrnehmung leicht übersehen hätte. Ironischerweise war es genau dieser Grad an Schärfe und Detailreichtum, der viele Betrachter davon abhielt, die Fotografie als Kunstform zu bezeichnen. Diejenigen, deren Augen an die weichen und sanften Formen der Malerei des späten 19. Jahrhunderts gewöhnt waren, konnten die Erfahrung, die die Fotografie bot, nicht als eine inhärent künstlerische verstehen. Ein Fotograf konnte die Welt zeigen und ihre Details dokumentieren, aber ein Künstler musste etwas zeigen, das über die bloße Kraft des Sehens hinausgeht - eine Erfahrung, die die Sinne ebenso anspricht wie die Seele. Ein Kunstwerk, das versuchte, alles zu zeigen, wurde dazu verdammt überhaupt nichts von Belang zu zeigen. Die Fotografen, die versuchten, diesen Erwartungen gerecht zu werden, bezeichnete man als Piktorialisten. Sie versuchten, ihre Werke mit einer malerischen Ästhetik zu kombinieren, indem sie ihre Bilder verwischten und sie nach der Vorstellung komponierten, wie ein "künstlerisches" Bild aussehen sollte.Auch wenn diese Künstler und Rosenthal durch ein Jahrhundert kunstgeschichtliche Entwicklung getrennt sind, die die Schärfe akzeptiert und befürwortet hat, gibt es Leute, die Rosenthal als Piktorialisten bezeichnen. Aber ist das wahr?

Piktorialismus?

Oberflächlich betrachtet setzen beide die Unschärfe ein, um eine aggressive Schärfe zu bekämpfen und einen Raum für das Fantastische und Imaginäre zu schaffen. Aber weg sind die Versuche der malerischen Nachahmung, fort sind die Fragmente der bürgerlichen Vulgarität. Der Piktorialismus war, um Clement Greenberg zu zitieren, ein Versuch, die Fotografie mit den Mitteln der Fotografie zu verbergen. Rosenthals Fotografie hingegen ist enger mit dem Objet Trouvé verwandt. Er verwendet entweder fotografisches Material in einem ebenso verfremdenden wie faszinierenden Versuch wieder, oder er nutzt die Fotografie, um unsere Wahrnehmung von Alltagsgegenständen leidenschaftlich zu stören. Seine Kunst versucht nie, hinter die Schleier der Ungewissheit zu blicken, denn das wäre töricht. Stattdessen sind seine Bilder selbst Schleier der Ungewissheit, die Räume der Überschreitung bedecken, in denen man nichts als Spuren zu finden vermag, die zu vertrauten und unbekannten Orten zugleich führen. In diesem Sinne scheint seine Kunst eher mit den mystischen Werken der Surrealisten verwandt zu sein; mit den düsteren Pariser Straßen und Cafés von Brassaï; mit den sanft verschleierten Szenen von Jean Epstein.
Das Gemeinsame und das Persönliche werden oft als vollkommen unvereinbare Gegensätze imaginiert. Vor allem als politische Begriffe kann man sie sich als unerbittliche Gegensätze vorfinden. Doch Rosenthals Kunst eröffnet einen Raum, der zum Verweilen und Nachdenken über die Bedeutung dieses Gegensatzes einlädt. Vielleicht können wir akzeptieren, dass es nicht beängstigend ist, etwas Fremdes in sich selbst zu finden. Vielleicht können wir unser eigenes Selbst im Gemeinsamen erkennen.

Kontakt

Klompching Gallery
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Autor

Kende Bors, geboren 1994 in Marosvásárhely

Hat einen B.A. in Kunstgeschichte und Germanistik, studiert Literaturvermittlung

Praktikum: Sommer 2022

Besondere Interessen: Kunst und Literatur der Décadence, Kulturtheorie