Der Beruf als Künstler III 1/4: Das Archiv

Manche Künstler sind chaotisch, manche sind Alchemisten und manche sind Archivare. Nun, um zu verstehen, wie ich es schaffe, alles zu organisieren und zu strukturieren, und wie das System der Ablage von Dokumenten, der Hauptpunkt eines solchen Berufes sein kann, erzählte ich dir einige Geschichten von mir und weißt vielleicht nachher ob ich ein Chaot oder Alchemist bin.

Das Archiv der Kommissionslieferungen, eine Anekdote aus New York

Jeder Mensch hat seine eigene Art und Weise, seine betrieblichen Unterlagen abzuheften und zu archivieren; es können persönliche oder betriebliche Dokumente sein. Ich habe lange nach der besten Methode gesucht, um meine Dokumente zu sortieren ujnd habe mich immer wieder an anderen Berufen orientiert. Ich wollte alles übersichtlich halten, jede Akte seit Beginn meiner Karriere in Ordnung halten, und ich hatte Recht. Als junger Künstler willst du vielleicht nicht so viel Wert auf formale, bürokratische oder buchhalterische Unterlagen legen. Da du aber mit deinen Werken Geld verdienen willst, musst du auf alles achten, was damit zu tun hat. Ich habe schon früh gelernt, dass Papiere die einzige Möglichkeit sind, ein Auge auf meinen Kunstwerken zu behalten. 

Die erste Geschichte, die ich Dir erzählen möchte, handelt genau davon, wie wichtig es ist, alle Dokumente strukturiert in Ordnung zu halten.

Es geht um die Zeit, als ich 2002/3 mit einer Galerie in New York zu tun hatte. Leider war die Galerie nicht sehr gut organisiert. Zu dieser Zeit, seit 2002, arbeitete ich bereits mit Galerien in den USA zusammen. Eine von ihnen bat mich um zwei Ausstellungen zu Beginn des Jahres 2003 in New York. Großartig! Nicht vielen Künstlern werden Einzelausstellungen in New York angeboten. Als Künstler kann man jedoch nicht jedes Werk persönlich ausliefern, sondern muss es über Spediteure oder Paketdienste wie Fedex, TNT, DHL oder UPS verschicken. Genau das habe ich getan. Das Verpacken und Kommissionieren ist immer ein riesengroßer Aufwand, weil man so viele einzelne Schritte bedenken muss. In dieser Zeit habe ich gelernt, was echte Organisation bedeutet. Eine gute Software könnte das um ein Vielfaches vereinfachen. Aber das ist ein ganz anderes Thema, was ich später einmal behandeln werde.

Damals hatte ich über 500 Arbeiten, die sich bei den Galerien in Kommission befanden, zu verwalten und in Auge zu behalten. Irgendwie war es genauso, wie ich es mir vorgestellt hatte: ein echter Kindergarten, aber ein chaotischer. Ich wollte nicht, dass etwas schief geht. Speziell bei den Editionsnummern sollte immer alles korrekt sein. Ich musste Missverständnissen oder Problemen, die während der Ausleihe auftreten konnten, vorbeugen, also habe ich von allem immer Kopien angefertigt. Bestellung, Lieferschein, Luftfrachtbrief, Fax-Protokolle, Zollpapiere. Als professioneller Künstler muss man sich darüber im Klaren sein, dass jedes einzelne Werk dein Eigentum ist und sein Geld wert ist! Diese Kunstwerke gehen an die Galerien und man sollte sie im Auge behalten.

Das Hilfreichste waren die Lieferscheine, Zollpapiere und Luftfrachtbriefe, die den Weg der Lieferung dokumentierten, aber auch ein Beweis dafür waren, dass mein Auftrag pünktlich und in gutem Zustand geliefert wurde. Ich bewahrte diese Papiere als ständige Dokumente auf, für den Fall, dass man es später kontrollieren müsste. Es waren jedoch nicht die einzigen Dokumente, die mir bei dieser Erfahrung nützlich waren, ich bewahrte auch so etwas wie die Faxprotokolle auf, mit denen ich den zugesandten Lieferschein belegen konnte.

Es stellte sich heraus, dass ich Glück hatte, alles zu behalten zu haben. Zu Beginn des Jahres 2003, als die Ausstellungen begannen, hatte ich das Gefühl, dass mit meinen Kunstwerken in New York etwas nicht stimmte. Um mir dessen sicher zu sein, flog ich nach New York. Ich hatte alle Kopien der Dokumente im Zusammenhang mit dieser Kooperation bei mir. Es war eine wirklich miese Erfahrung, denn die Galerie hatte nur noch 40 Werke aufgelistet, obwohl ich ihnen mehr als 60 geschickt hatte. Dank meiner Dokumente, die ich aufbewahrt hatte, konnte ich alles beweisen. Die Galerie war nicht sehr professionell und hatte die meisten ihrer Unterlagen über meine Verkäufe verloren, oder absichtlich verschlampt. Das war ein großer Vertrauensverlust in eine geschäftliche Zusammenarbeit. Betrug würde ich heute nicht unterstellen wollen. Aber ich habe gelernt, dass Galeristen mit der Dummheit der Künstler spekulieren. Ich verlies die Galerie. Die Galerie verkaufte weiter, aber bezahlte mich nicht. Das bedeutete für mich einen Verlust von Tausenden von Dollar. Es war wirklich stressig. Ich wollte mir einen Anwalt nehmen, aber ein amerikanischer Anwalt kostet zu viel Geld für einen Künstler, das konnte ich mir nicht leisten. Ich habe mich dann aber an den Liquidierungsservice der Deutschen Auslandshandelskammer in New York gewandt. So konnte ich mit Hilfe der Außenhandelskammer die Galerie so sehr unter Druck setzen, dass sie mir einen Teil des Geldes zurückzahlten, mir aber bis heute noch etwa 10.000 USD schulden. Die Galerie war pleite und wurde abgemeldet. Trotzdem arbeiten beide Inhaber heute noch als Galeristen und Berater in New York. Du kannst mich gerne fragen wer das war.

Da meine Bilder und Produktionen im Mittelpunkt meiner Firma stehen, muss ich gut organisiert und vorsichtig sein, wenn es darum geht, damit zu handeln und sie zu verleihen. Diese Geschichte hat mich gelehrt, dass man sich nicht auf andere verlassen kann und immer alles selbst kontrollierbar halten sollte. Alle Dokumente tatsächlich zu haben und übersichtlich in Reichweite zu haben, war genau richtig und noch einmal eine Lektion, die ich hoffentlich nicht noch einmal machen würde.

Ein Werkverzeichnis als Inspiration für die Ablage

Es war auch in dieser Zeit, als so viele Bilder unterwegs waren und mein Bekanntheitsgrad wuchs, meine Kunst an Wert zunahm und die Übersicht beschwerlicher wurde. Ich musste schnell reagieren und beschloss, ein Werkverzeichnis sowohl als Excel-Tabelle als auch auf Papier in Aktenordnern anzulegen. Das ist gar nicht so einfach, da es in der Fotografie, ausgehend vom Negativ, oder der originalen Datei immer Abzüge in verschiedenen Größen geben kann und es jeweils auch immer einer Auflage, also Anzahl von Abzügen gibt, die eventuell auch noch einem amerikanischen Staffelpreis-System folgen.
Dank dieser Datei und den Papieren, die ich aufbewahrt habe, kann ich auch den Anstieg meiner Verkäufe pro Bild sehen. Bilder, die ich früher zum Beispiel für 100 Euro verkauft habe, werden jetzt für 2000 Euro verkauft. Allerdings ist es auch wichtig zu beachten, dass mit dem Anstieg der Verkaufspreise gleichzeitig auch die Ausgaben steigen. Das ist ein weiterer Grund, warum du die Kunst als eigenen Betrieb betrachten solltest, die für den Erhalt deiner Freiheit und Selbständigkeit einen Gewinn erbringen muss. Ansonsten bleibst Du ein Amateur, der gerne in seiner Freizeit ein bisschen Kunst als Hobby betreibt.

Korrespondenz, vom Papier zur Software

In Deutschland sind wir dazu verpflichtet betriebliche Unterlagen sorgfältig aufzubewahren. Laut Gesetz müssen die betrieblichen Unterlagen zehn Jahre nach ihrer Erstellung verfügbar bleiben, falls das Finanzamt sie eines Tages benötigt. Um dies zu tun, gibt es viele verschiedene Möglichkeiten, Papiere abzulegen. Ich habe mich dazu entschieden, hauptsächlich gedruckte Korrespondenz in klassischer alphabetischer Reihenfolge in Aktenordnern abzuheften. Ich habe einen Aktenordner für die Buchhaltung, einen für die Korrespondenz, einen für die Kontakte, usw.

Das letzte und wichtigste, was ich als Fotograf aufbewahre, sind die Kontakte, die ich im Laufe meiner Karriere geknüpft habe. Dafür habe ich den Korrespondenzordner, der ein wichtiger Ordner ist. Heute gibt es nur noch sehr wenig Korrespondenz auf gedrucktem Papier, und ich bin dabei, auf eine digitale Ablage umzustellen. Um dies zu tun habe ich die Software COBRA gekauft: eine sehr nützliche Software, die alle meine Kontakte aufzeichnet.  Ich habe bis zu 5000 Kontakte in dieser Client Management Software (CMS) erfasst. Das ist noch eine Menge, die ich bewältigen, pflegen und verwalten kann. Früher hatte ich einmal bis zu 10.000 Adressen, was aber zu viel war. Ich habe dann vor einigen Jahren einmal alle Kontakte gesichtet, gruppiert und nach Zielgruppen geordnet und nur die wichtigsten behalten, um nicht mit der Pflege von Adress- und Kommunikationsdaten zu sehr überhäuft zu werden. Die 5000 Adressaten reichen mir im Moment völlig aus.

Dieses CMS ist zum Zentrum meiner professionellen Kommunikation geworden. Sie ermöglicht es mir, meine Kontakte nach ihrer Bedeutung für meine Karriere zu organisieren und sie sind somit Schlüsselwörtern verschlagwortet, dass ich immer auf Zielgruppen zugreifen kann. Ich habe zum Beispiel ein Stichwort für meine Kunden, meine Lieferanten, aber auch sehr viel kleinteiliger, damit ich Kommunikation tatsächlich nur an die richte, die tatsächlich in dem Moment gemeint sind. Diese Anwendung speichert nicht nur die Telefonnummern oder E-Mail-Adressen dieser Personen, sondern auch die Websites ihrer Seiten. Das ist nützlich, wenn ich eine Galerie finden oder mich über neue Ausstellungen informieren möchte. 

Jede dieser Kategorien ist separat und einzeln aufgelistet.  Mit diesem CMS bin ich in der Lage, jeden per E-Mail oder Brief oder sogar per Telefon zu erreichen, oder ganze Aussendungen für zum Beispiel Ausstellungseinladungen zu organisieren. Ich kann hier alle zugehörigen digitalen Dokumente über jede Person oder Firma speichern. Die Software ist mit MS-Office, Lexware, Mail-Chimp und mehr verknüpft und wurde zur digitalen Drehscheibe.

Der Buchhaltungsordner, die wichtigste Ablage

Die Buchhaltungsmappe der Debitoren- und Kreditorenbuchhaltung ist einer der wichtigsten Aktenordner. In ihm werden alle Belege über Kosten und Einnahmen gesammelt. Diese Papiere werden von meinem Steuerberater verarbeitet. Da ich doch ein kleiner Kontrollfreak bin, gebe ich meine Daten auch in eine Excel-Tabelle ein, die es mir ermöglicht, mein Geschäft über das Jahr, aber auch über die letzten Jahre oder Jahrzehnte hinweg genau zu beobachten. Die Arbeit mit Excel ist zwar ein zusätzlicher Aufwand, aber sie hilft mir, mehr über die Funktionsweise meines Unternehmens zu erfahren, und hält mich immer auf Kurs. 

Als Künstler habe ich immer viele Projekte gleichzeitig am Laufen. Eine saubere Organisation und Buchhaltung verhindern, vor lauter Arbeit verrückt zu werden, und es ermöglicht mir, jeden Tag der Woche zu arbeiten. Ich kann so auch Investitionen planen, oder was in meinem Berufsleben notwendig wird, und bin immer auf alles vorbereitet. 

Archiv der Ausstellungen und Veröffentlichungen, mein artfacts.net-Profil

Ach du meine Güte! Das ist ein riesiger Haufen Papier, der wahrscheinlich schon alleine eine Tonne wiegt! Alle Publikationen und Ordner mit gesammelten Ausstellungsbesprechungen, Postkarten usw. messen zusammen mindestens 8 Meter in der Länge. Es ist vermutlich der längste Staubfänger in unserem Haus. Dieses Archiv war bereits schon öfter non Nutzen. Während der Banken-Krise im Jahr 2008 entpuppte es sich als sehr nützlich für mich. Als die Wirtschaft und die Märkte zusammenbrachen, stellten die Galerien nicht mehr aus, und für mich begann eine harte Zeit, da der gesamte Markt auf null sank. Damals überlegte ich, wie ich während der Krise meine Galerien und mich durch die Mitgliedschaft bei einer Online-Plattform unterstützen könnte. Die Galerien sind in der Regel bei Artsy oder Artnet oder irgendeiner anderen Verkaufsplattform als Galerie mit Kunstwerken präsent und aktiv. Ich hatte die Idee, meinen Lebenslauf auf die Website artfacts.net zu stellen, um meine Position im Kunstmarkt visualisieren zu können. Dafür brauchte ich einige Dokumente, die die Ausstellungen belegen konnten, die ich seit Beginn meiner Karriere erbracht hatte. Glücklicherweise gehöre ich zu den Menschen, die alles Wichtige aufbewahren und nicht zu schnell Dinge wegwirft. Seit 1987 habe ich jede Postkarte, jeden Artikel und jede Einladung meiner Ausstellungen aufgehoben. So konnte ich mir ein schönes und vollständiges Profil auf artfacts.net erstellen, in dem alle meine Ausstellungsdaten fast vollständig gesammelt sind. Heute gehöre ich zu den 2000 erfolgsreichten Künstlern der Welt und zu den 300 besten deutschen Künstlern auf dieser Plattform von Artfacts.net und pflege ständig neue, aber auch noch ältere Ausstellungen dort ein. Ob das hilft? Wer weiß das schon? War es das wert? Eindeutig ja, denn auf diesem Markt gibt es keine Regeln, wie man zum Beispiel seine Vita oder eine Bibliographie schreibt. Jeder meint, dass er es wüsste und verhält sich halb amateurhaft. Mir hat die Arbeit mit und an artfacts.net gezeigt, dass man am besten eine kleine Datenbank in Form einer Excel-Tabelle anlegt du alle Informationen der Ausstellung dort sammelt. Also Titel, Institution, Ausstellungsdauer, beteiligte Künstler, Adresse, Kurator usw. Wenn man dann für eine Publikation oder anderes eine Vita benötigt, kann man auf die gesammelten Daten zurückgreifen. Der Aufbau einer Bibliografie gelang mir später aus einer ähnlichen Fragestellung heraus. Das führte zu einer Ausstellung in unserer Universitätsbibliothek mit vielen der handgefertigten Buchdesigns, Monographien, Skizzenbücher etc. Hierfür nutze ich heute nicht mehr Excel, sondern eine klassische Literaturdatenbank, wie sie Wissenschaftler nutzen und kann damit jederzeit eine Literaturliste im gewünschten Format aus einer Auswahl von 6000 verschiedenen Zitierweisen herstellen. So war aus dem 8 Meter langen Staubfänger von Presseartikeln und Publikationen mit Hilfe von Citavi eine ordentlich gedruckte Bibliographie geworden.

Ich hoffe, dass du Dank dieses Artikels mehr über die Arbeit mit Fotografien und vor allem über die Bedeutung des Archivierens gelernt hast! Abgesehen vom Nutzen des Ordnens ist es auch eine einfache Möglichkeit, Erinnerungen zu archivieren und seine Zeit nicht mit Suchen, sondern mit Finden und Sinnvollerem zu verbringen. Ich lade dich herzlich ein, darüber nachzudenken, was deine eigenen archivierten Unterlagen und Akten dir gegeben haben und inwiefern du sie für dich für wichtig hält. Wenn du mehr über mein Leben als Fotokünstler erfahren möchtest, findest du hier auf meinen Blog viele weitere Artikel.  

Autorin

Eva Coutinho, geboren am 5. Oktober 2002 in Orléans, Frankreich
Studium: Europäische Wirtschaftskommunikation
Praktikum: von November 2021 bis Februar 2022 im Studio Thomas Kellner
Interessen: Ich höre viel Musik und möchte die ganze Welt bereisen (nächstes Ziel Cancùn, Mexiko)