Tango
Tango, Never Before Midnight ist ein Werk, das die Welt der Milongas - der traditionellen argentinischen Tangobälle - und ihrer Gäste, der Milongueros, dokumentiert.
Die Milongueros bilden eine einzigartige Subkultur, die ihre eigenen, streng kodierten Verhaltensregeln hat. Diese Codes spiegeln eine bestimmte, bittere, melancholische und doch leidenschaftliche Weltsicht mit ihren besonderen ethischen und ästhetischen Werten wider. Sie sind das Ergebnis der Geschichte des Tangos als Ausdruck der Ausgegrenzten und Vertriebenen, der später von der Oberschicht vereinnahmt und von den Europäern verherrlicht wurde, aber nie seine Präsenz in den Armenvierteln von Buenos Aires verlor. Die Musik des urbanen Argentiniens, der Tango, ist für immer mit der nationalen Identität der Argentinier verwoben.
Nach einigen Jahrzehnten, in denen der Tango bei der Jugend an Bedeutung verloren hatte, wird er nun von der jüngeren argentinischen Mittelschicht und der internationalen Unterhaltungsindustrie massiv wiederentdeckt. Dies hat zur Folge, dass sich die traditionellen Merkmale der Welt der Milongueros verändern. Dieses Projekt versucht, die subtilen Elemente aufzuzeichnen, die das psychologische und soziale Umfeld der traditionellen Milonga definieren, bevor es durch das Altern der Milongueros und das Aufkommen neuer Werte für immer verändert wird.
Jede Nacht auf der Milonga ist ein eigener dramatischer Zyklus, eine erotisch aufgeladene Arena, in der Fragen der Macht und der Geschlechter ausgetragen werden. Es kommt zu flüchtigen Beziehungen, Allianzen, Rivalitäten, Eifersucht und Verführungsspielen, die zu den Begegnungen auf der Tanzfläche führen. Diese Verhandlungen werden mit verstohlenen Blicken und winzigen Gesten geführt, die Teil eines Rituals sind, das für Außenstehende völlig unbemerkt bleiben kann. Milongueros neigen dazu, sehr wenig zu sprechen; selbst wenn sie schon seit Jahren miteinander tanzen, fragen sie sich nie nach dem Nachnamen, der Adresse oder dem Beruf des anderen. Dies ist eine der unausgesprochenen Regeln der "echten" Milongueros. Bei der Milonga treten Klasse, Alter und Aussehen in den Hintergrund. Was zählt, ist das Tanzen, die Verbindung zwischen Körper und Körper, das Gefühl für die Musik. Eine weitere implizite Regel ist, dass die Aufforderung zum Tanzen niemals verbal erfolgt. Vielmehr geschieht dies durch eine komplexe Reihe von ineinandergreifenden Blicken und Körperhaltungen. Ein Teil meines Ziels in diesem Projekt ist es, diese geladene und doch delikate Körpersprache einzufangen.
In den letzten fünfzehn Jahren habe ich mich über den Tango informiert, Milongas besucht, mich langsam in die Szene eingearbeitet und mich mit ihren unausgesprochenen Codes vertraut gemacht. Während dieser Zeit habe ich einige Fotoaufträge zum Thema Tango für Farbmagazine gemacht. Aber erst vor etwa sieben Jahren begann ich mit diesem Projekt, von dem ich glaube, dass es eine einzigartige persönliche Vision der Welt der Milongueros darstellt. Ich wandte mich dem Schwarz-Weiß-Fotografieren zu, benutzte nur das Umgebungslicht und hatte nie einen Blitz oder eine Beleuchtungsausrüstung dabei, um deren störende Wirkung zu vermeiden. Ich entwickelte eine Arbeitsmethode, die sich auf den stillschweigenden Konsens zwischen Fotograf und Motiv stützte und die auf dieselbe schlaue, stille Art und Weise ablief wie alle anderen Verhandlungen unter Milongueros. Ich habe auch stundenlange Gespräche mit einigen wichtigen Milongueros auf Tonband aufgenommen. Sie wurden meist weit nach 4:00 Uhr morgens auf den Milongas aufgenommen und sind ein wesentlicher Bestandteil dieses Projekts.