Presseberichte
Gießener Allgemeine:
Ein verhüllter Kiosk und ein neuer Blick auf Architektur
Auffällige Aktion: Der Neue Kunstverein Gießen präsentiert die aktuellste Arbeit von Thomas Kellner im ehemaligen Kiosk am alten Friedhof.
Die zweite Ausstellung des Neuen Kunstvereins Gießen (NKG) am neuen Ausstellungsort ist ein echter Hingucker. Der Künstler Thomas Kellner hat den einstigen Kiosk „Max hat’s“ am Alten Friedhof verhüllt. Nicht so spektakulär wie Christo mit weißen Planen und Schnüren, sondern der Umgebung angemessen farbig bedruckt und rundum an die Außenkante des vorstehenden Dachs gehängt. Das Ergebnis ähnelt dem Vorzelt eines Wohnwagens, es wird auch tatsächlich neuer Raum gewonnen. Zwischen dem denkmalgeschützten Gemäuer des Kiosks und der Verhüllung lässt sich gut stehen und schauen. Die Plane ist so transparent, dass draußen alles gut zu erkennen ist. Dr. Gerd Steinmüller, NKG-Vorstandsmitglied und Kunsthistoriker am Institut für Kunstpädago-gik, stellte bei der Ausstellungseröffnung am Samstagnachmittag den Künstler und seine Arbeit für Gießen vor.
Thomas Kellner (geb. 1966) beschäftigt sich seit Studientagen mit der Fotografie. Erste Experimente machte er mit der Lochkamera. Seine Abschlussarbeit über die deutsch-deutsche Grenze „Deutschland - Klick nach draußen“ bekam den Kodak-Förderpreis zugesprochen. Seit 1997 arbeitet er als freischaffender Fotograf. Er begann sein Projekt „Monumente“, bei dem er berühmte Gebäude fotografierte, in Einzelteile
zerlegte und neu zusammensetzte. Damit gewann er in den USA große Aufmerksamkeit und kann mittlerweile auf Ausstellungen und Ankäufe renommierter Ausstellungshäuser zurückblicken. Er hat keine Scheu vor den Manipulierungsmöglichkeiten, die die digitale Fotografie bietet. Im Gegenteil, er macht sie in seinen Arbeiten sichtbar, auch in dem jetzt in Gießen erstmals vorgestellten Projekt »facades«.
Das »farbig Bedruckte« auf dem Spezialstoff ist selbstverständlich nicht beliebig. Es ist Teil des Fotokonzepts, das Thomas Kellner (Siegen) in seinem Jahr als Gastprofessor am Institut für Kunstpädagogik der Gießener Universität (2003) erarbeitet hat. Das Dokumentationsbuch liegt im Kiosk aus und stellt bereits ein Kunstwerk an sich dar; auch wenn es bislang als solches gar nicht gedacht ist. Abgedruckt sind zahlreiche Gebäude und Ensembles im Gießener Stadtgebiet, die er fotografiert und digital bearbeitet hat. Dazu gehören ebenso historische Gebäude wie Architekturen aus der Nachkriegszeit.
Die den Künstler interessierende Architektur wurde am Computer grob aufgepixelt, das bedeutet: Sie ist von Rasterquadraten überzogen und dadurch leicht unscharf, aber immer noch erkennbar. Die direkte bauliche Umgebung blieb gestochen scharf, hingegen sind aÍIe Naturelemente wie Himmel und Pflanzengrün herausgenommen. Die Gebäude sind somit vom naturhaften Teil ihrer Umgebung „frei gestellt“. So entsteht ein eigenartiger Verfremdungseffekt, der die Aufmerksamkeit auf bestimmte, bislang so nicht oder überhaupt nicht wahrgenommene Elemente lenkt.
Dieses Verfahren hat er auch auf den Kunst-Kiosk angewendet. Dann wurde die relativ kleine Datei von einer Spezialfirma auf eine circa 80 Quadratmeter große Stofffläche aufgebracht. Die wiederum von einer anderen Spezialfirma zugeschnitten, bearbeitet und gehängt wurde. Alles in allem ein aufwändiges Verfahren, dessen Kosten der Künstler allein trägt! Im Ergebnis wirkt es wie impressionistische Malerei: je weiter weg der Betrachterstandpunkt, desto deutlicher ist das Abgebildete erkennbar. Gießen ist darüber hinaus der Ort der Entstehung und der Uraufführung von »facades«. Man darf also ge-spannt sein, wo überall in der Welt künftig solche Fassadengestaltungen von Thomas Kellner noch auftauchen.
Ein gepixeltes Foto der Längsfront des Kunst-Kiosks ist in 30er Auflage, nummeriert und signiert, zu erwerben. Die Ausstellung ist bis 17. April zu sehen, am Sonntag den 13. März steht Thomas Kellner um 14 Uhr für ein Gespräch zur Verfügung. Der Kiosk selbst ist geöffnet Donnerstag von 15 bis 19 Uhr und Samstag von 11 bis 16 Uhr. Infos unter: www.kunstverein-giessen.de und www.tkellner.com.
(Dagmar Klein, Gießener Allgemeine 3/2003)
Gießener Anzeiger
Gießens heimliches Wahrzeichen als Hingucker
Thomas Kellners Ausstellung „facades“ stellt bekannte und unbekannte Gießener Gebäude in ungewöhnlicher Optik vor
Er ist einer der bekanntesten und markantesten Punkte der Stadt Gießen, der ehemalige Kiosk „Max hat’s". Seit einiger Zeit gibt es hier allerdings keine Zeitungen und auch kein Flaschenbier mehr zu kaufen. In das kleine Gebäude ist die Kunst eingezogen, in Gestalt des „Neuen Kunstvereins Gießen". Im Rahmen der Ausstellung „facades" wurde das Ausstellungsgebäude kurzerhand zum Ausstellungsobjekt.
„Will man Thomas Kellners künstlerisches Konzept mit wenigen Worten beschreiben, so könnte man sagen, dass es ihm immer darum geht, eingefahrene Wahrnehmungsweisen mit sehr unterschiedlichen fotografischen Mitteln zu irritieren und zur Disposition zu stellen", beschrieb Gerd Steinmüller, akademischer Rat am Institut für Kunstpädagogik, die Arbeit des Künstlers, der für die nächsten vier Wochen das Häuschen am Alten Friedhof eindrucksvoll verfremdet hat.
Thomas Kellner, 1966 in Bonn geboren, studierte in Siegen Kunst- und Sozialwissenschaften. Internationale Aufmerksamkeit erregte er erstmals mit seinem Projekt „Deutschland - Blick nach draußen". Mit der Kamera reiste Kellner 1996 6000. Kilometer entlang der deutschen Grenze und dokumentierte jeden einzelnen Grenzübergang. Für diese Arbeit erhielt Kellner den Kodak-Nachwuchs-Förderpreis.
Im vergangenen Semester war der Künstler Inhaber der Gastprofessur Kunst am Institut für Kunstpädagogik der Gießener Universität. Im Rahmen dieses
Im Rahmen dieses Aufenthaltes entwickelte er das Konzept für die „facades". Ähnlich wie im Fernsehen, wenn dort Gesichter unkenntlich gemacht werden sollen, werden die digi-talisierten Fotos der Objekte reduziert und stark aufgepixelt. Im Maßstab 1:1 werden die Gebäude mit den Abbildungen ihrer Fassade verkleidet.
„Aus der Distanz gesehen erscheint die Architektur noch weitgehend intakt und nur geringfügig in sich verschoben. Nähert man sich dem Gebäude, so erscheint seine Fassade jedoch zunehmend in Auflösung begriffen", so Steinmüller. Das Bild der Fassade wird auf seine Grundbestandteile, auf einzelne Pixel zurückgeführt. Für die Umsetzung der künstlerischen Idee im Maßstab 1:1 wurde von der Kölner Firma Viabild die nur 22 Kilobyte große Ausgangsdatei auf eine cirka 80 Quadratmeter große Plane gedruckt. Installiert wurde diese von der Firma Winkelmann aus Wiehl.
Im Ausstellungsraum in der Licher Straße sind die Abbildungen weiterer Gießener Gebäude, die in ähnlicher Weise bearbeitet wurden, zu sehen. In einer 30er Auflage schuf Thomas Kellner außerdem ein Blatt im Format 20x30 cm, das signiert und nummeriert zum Preis von 100 Euro erhältlich ist.
Die Arbeiten der Studierenden aus den Seminaren Kellners werden ebenfalls demnächst in Gießen zu sehen sein. Mit der Arbeit „Lebensräume - fotografische Einblicke" von Nikolina Guzvica startet die Reihe am 17. März um 18 Uhr in der Kanzlei Greilich, Hirschmann und Coll.
(Klaus-J. Frahm, Gießner Anzeiger, 03/2004)